Suche nach NS-Raubgut an der Universitätsbibliothek Rostock
Projektinformationen
Ziel
Ziel des Projekts ist die systematische Recherche nach nationalsozialistischem Raub- und Beutegut im Bestandszugang 1933 bis 1959 der zentralen Universitätsbibliothek Rostock. Neben der Auffindung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut stehen die Verzeichnung der Provenienzen sowie sofern möglich die Ermittlung von Erben und die Restitution der Werke im Vordergrund.
Ansprechpartner
Dr. Antje Strahl und Lisa Krebes
Laufzeit
2014 - 2018
Förderung
Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin
NS-Raubgut
Die Universitätsbibliothek Rostock stellt sich ihrer historischen Verantwortung und möchte dazu beitragen NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu ermitteln und, wo es möglich ist, Erben der Besitzer zu ermitteln. Seit 2009 wird deshalb in den Beständen der Universitätsbibliothek Rostock nach verdächtigen Büchern gesucht. Das Projekt wird seit August 2014 finanziell durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg unterstützt.
Was ist NS-Raubgut?
Im Zuge der Verfolgungs- und Terrormaßnahmen des NS-Regimes wurden zwischen 1933 und 1945 millionenfach Menschen und Vereinigungen aus rassischen, politischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen enteignet, ihr Besitz beschlagnahmt oder sie wurden zum Zwangsverkauf ihres Eigentums getrieben. Diese zu Unrecht enteigneten Kulturgüter gelten heute als „NS-Raubgut“. Vor allem Museen und Bibliotheken waren Nutznießer dieser Enteignungen. Die Bibliotheken dienten dabei oft als Sammelstellen für verbotene und beschlagnahmte Literatur, sofern diese nicht verbrannt wurde. Weiterhin erhielten Bibliotheken „Geschenke“ von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der Reichstauschstelle in Berlin oder sie konnten beschlagnahmte Bücher günstig im Antiquariat erwerben. Noch heute lagert NS-Raubgut unentdeckt in den Bibliotheken. Die Identifizierung der entsprechenden Werke erweist sich als sehr schwierig und ist mit einem großen Rechercheaufwand verbunden.
Grundlagen und gesetzlicher Rahmen
Die Universität Rostock bekennt sich zu den „Grundsätzen der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ vom 3. Dezember 1998 und setzt mit diesem Beschluss die in der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes insbesondere aus jüdischem Besitz“ formulierten Grundsätze um.
Das Projekt der Universitätsbibliothek Rostock
Ziel
Das Ziel des Projektes besteht in der Suche nach Raub- und Beutebänden aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Hierzu werden die einschlägigen Erwerbungsunterlagen der Jahre 1933-1959 systematisch geprüft, um verdächtige Werke der Zentralen Universitätsbibliothek sowie der damaligen Institutsbibliotheken zu identifizieren, zu dokumentieren und im elektronischen Katalog der Universitätsbibliothek zu erfassen. Provenienzhinweise werden verzeichnet und, wenn möglich, Besitzverhältnisse ermittelt. Dabei steht die Restitution der zu Unrecht erworbenen Bücher im Vordergrund.
Quellen
Die Universitätsbibliothek Rostock verfügt für die Zentrale Universitätsbibliothek über sehr gut erhaltene Zugangsbücher (Kauf, Geschenk, Tausch). Bibliothekar:innen der Universitätsbibliothek Rostock haben jedes neu erworbene Buch mit Autor:in, Titel und Lieferant:in verzeichnet. Innerhalb der Institutsbibliotheken sind nur wenige, teilweise auch keine, Erwerbungsbücher vorhanden, so dass eine Rekonstruktion des Erwerbs an dieser Stelle äußerst schwierig ist. Hier müssen die einzelnen Bücher direkt am Regal kontrolliert werden.
Die Erfassung der verdächtigen Bücher
Die Arbeit im Projekt erfolgt in verschiedenen Schritten.
Im ersten Schritt werden die Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek auf verdächtige Zugänge geprüft. Neben Autor:in und Titel sind hierbei in erster Linie das Zugangsdatum und der Lieferant entscheidend. Verdächtige Zugänge sind vor allem in den Jahren 1936 bis 1948 in den Bestand der Universitätsbibliothek eingearbeitet worden. Während innerhalb der letzten Kriegsjahre weniger Bücher in den Bestand aufgenommen wurden, sind es vor allem die Erwerbungsunterlagen der Vorkriegs- und der Nachkriegsjahre, die eine Vielzahl an Zugängen aufweisen. Während des Krieges wurden Teile der Universitätsbibliothek zum Schutz des Bestandes ausgelagert, eine Einarbeitung konnte deshalb erst nach Kriegsende erfolgen. Der zu untersuchende Zeitraum wurde deshalb bis zum Jahr 1959 ausgeweitet. Insbesondere Lieferanten geben einen ersten Hinweis darauf, ob ein Buch zu Unrecht an die Universitätsbibliothek gelangt ist. Bei Zugängen von Polizeidienststellen, Landratsämtern oder Bürgermeisterämtern ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich unter den gelieferten Büchern Raubgutfälle befinden. Aus Enteignungen stammende Bücher sind gelegentlich daran zu erkennen, dass als Herkunft "Judenauktion", die Gestapo, ein Zollamt oder die mit der Verwertung betraute Finanzbehörde angegeben ist. Die Bürgermeisterämter und andere Institutionen übergaben die Bücher oftmals als Geschenke an wissenschaftliche Bibliotheken. Vor allem die Preußische Staatsbibliothek und die Reichstauschstelle in Berlin spielten beim „Bücherkarussell“ eine entscheidende Rolle.
In einem nächsten Schritt werden alle verdächtigen Zugänge in eine Arbeitsdatenbank übertragen. Dies dient dazu, die einzelnen Stationen beziehungsweise den Bearbeitungsstatus eines Buches nachvollziehen zu können. Die Bücher erhalten außerdem eine Kennung. Diese kennzeichnet die Wahrscheinlichkeit, inwieweit es sich bei dem verzeichneten Buch tatsächlich um Raubgut handelt (Kennungen: unspezifisch, wahrscheinlich Raubgut, Raubgut). Die Kennung kann sich im Laufe der Nachforschungen aufgrund neuer Ergebnisse ändern.
Alle in der Datenbank erfassten Bücher werden autoptisch durch Mitarbeiter:innen der Universitätsbibliothek auf Herkunftsmerkmale geprüft.
Im Falle der Institutsbibliotheken liegen oftmals keine aussagekräftigen Erwerbungsunterlagen vor. Die Kontrolle der Bücher erfolgt deshalb direkt am Regal. Alle Bücher, die vor 1945 erschienen sind, werden einzeln auf eventuell vorhandene Herkunftsmerkmale geprüft.
Darstellung der gekennzeichneten Bücher im Bestand
Alle innerhalb des Projektes gesichteten Bücher werden im Onlinekatalog der Universitätsbibliothek Rostock verzeichnet. Neben den eventuell vorhandenen Provenienzen werden ebenfalls, wenn vorhanden, Lieferant, Zugangsnummer und Inventarisierungsdatum angegeben. Die abschließend geprüften Bücher sind im Onlinekatalog unter Angabe von „lsw Raubgut“ im Suchfeld zu finden.
Recherche
Voraussetzung für eine Restitution von NS-Raubgut sind die eindeutige Identifizierung des Vorbesitzers sowie die Umstände des Besitzwechsels des jeweiligen Buches. Während eine Reihe von Werken mit Provenienzmerkmalen für weitere Recherchen bereits im Vorfeld ausscheidet, da ein zu geringer Informationsgehalt der Spuren der Vorbesitzer vorliegt, erweisen sich insbesondere diejenigen mit vollständigen Namensangaben und möglichst Orts- und/oder Zeitangaben als vielversprechend für tiefere Nachforschungen.
Grenzen der Recherche (Beispiele)
Während die Rekonstruktion des Weges der Bücher von ihren Vorbesitzern in den Bestand der Universitätsbibliothek Rostock kaum lückenlos darstellbar ist, da relevante Dokumente wie Versand- oder Übergabelisten vielfach nicht auffindbar sind, gewähren erfolgreiche Nachforschungen zu den Vorbesitzern bisweilen Einblicke in die Zeit des Besitzerwechsels. Anhand der Offenlegung von Biographien ist die Einordnung in „Kein NS-Raubgut“ oder „NS-Raubgut“ möglich.
Im Fall „Werner Nahmmacher“ lagen zwölf Bücher mit diesem Namenszug, teilweise mit dem Titelzusatz „Dr. med.“ und der Ortsangabe „Malchow“, vor. Sämtliche Werke waren als „Geschenk“ des Oberbürgermeisters Rostock verzeichnet und zwischen Oktober 1945 und Mai 1946 in den Bestand eingearbeitet worden. Recherchen zur Biographie Nahmmachers ergaben u. a., dass der an der Universitätsklinik Rostock tätige Arzt Mitglied der SS war. Die im Stadtarchiv Rostock vorliegende Sterbeurkunde bestätigte den Verdacht, dass diese Bücher als NS-Raubgut ausschieden: Nahmmacher und seine Frau nahmen sich im Mai 1945 das Leben.
Eingebunden in eine umfangreiche Bücherlieferung des Oberbürgermeisters Rostock an die hiesige Universitätsbibliothek, gelangten insgesamt neun Bücher mit der Provenienz „Malzer“ im Jahr 1942 in den Bestand. Vier dieser Bücher enthielten den Namenszug „Babette Malzer“, drei das Besitzmerkmal „Hans Malzer“, eines „Hedwig Malzer“ und ein weiteres „Max Malzer“ – dieses mit dem Ortszusatz „Königshofen im Grabfeld“. Die Ergebnisse der Recherche ergaben, dass es sich um eine jüdische Familie handelte, die unter dem Druck von NS-Repressalien 1937 und 1939 nach London und von dort weiter nach New York emigriert ware. Aufwändige Recherchen führten zur Identifizierung von Nachkommen und deren Kontaktdaten in den USA. Im Mai 2016 kam die Erbin der Bücher, Frau Audrey Goodman – Enkeltochter von Max und Nichte von Hans Malzer –, auf Einladung der Universitätsbibliothek mit ihrer Familie nach Rostock, um die Bücher in einer feierlicher Zeremonie in der historischen Aula der Universität im Beisein der Presse in Empfang zu nehmen.
Der schmale Band „Krieg und Revolution. Schriften und Aufsätze aus der Kriegszeit“ von Lenin und Trotzki gelangte im Juni 1934 im Zuge einer Lieferung von über 40 Schriften als Geschenksendung von der Landesbibliothek Dresden an die Universitätsbibliothek Rostock. Das Büchlein enthielt die Provenienz „Rudolf Renner“. Renner, 1894 in Westfalen geboren, arbeitete bereits seit 1919 für unterschiedliche kommunistische Zeitungen in Chemnitz, Dresden und Leipzig. Ab 1920 war er Mitglied des Landtages in Sachsen für die KPD. Im April 1933 wurde er im Zuchthaus Waldheim inhaftiert und 1936 ins Konzentrationslager Sachsenberg überstellt. Am 30. Juli 1940 starb er im Konzentrationslager Buchenwald. Seinem Enkelsohn, Herrn Thilo Redtel, ist das Buch im Dezember 2016 zugesandt worden.
Ergebnisse Stand Januar 2017
Derzeit befinden sich in der vom Projektteam entwickelten Datenbank rund 5100 NS-Raubgut-Verdachtsfälle. Diese stammen vorwiegend aus den Geschenk- und Tauschbüchern der zentralen Universitätsbibliothek. Weiterhin wurden bereits tausende Bücher einzeln am Regal auf vorhandene Herkunftsmerkmale überprüft. Bisher können etwa 5000 Datensätze im Onlinekatalog der Universitätsbibliothek eingesehen werden. In weit über 1000 Büchern sind Provenienzmerkmale enthalten. Viele von ihnen sind für die weitere Forschung im Zusammenhang mit NS-Raubgut nicht relevant, da sie keine verwertbaren Informationen enthalten oder die Provenienz eindeutig nicht in Zusammenhang mit einer NS-verfolgungsbedingten Entziehung steht. Den Umfang der derzeit ungeklärten, aber weiterhin verdächtigen Provenienzen beziffern wir aktuell auf ungefähr 700 Namen. Von 13 Personen konnte das Schicksal rekonstruiert und ein Nachweis über eine Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus erbracht sowie Nachfahren ausfindig gemacht werden. In allen Fällen war eine Restitution erwünscht, so dass inzwischen über 40 Bücher an Erben in Brasilien, Deutschland, Großbritannien, Österreich und den USA übergeben werden konnten. In einem weiteren Fall ist mit einem Erben in Israel der Kontakt hergestellt worden. Eine Restitution des Buches steht noch aus. Neben dieser sind weitere Restitutionen in Planung. Biographische Einzelheiten zu einer großen Anzahl von Personen sind seit Beginn des Projektes 2014 zusammengetragen worden. Während bei vielen eine NS-Verfolgung ausgeschlossen werden kann, liegen bei anderen nicht genügend Indizien oder Hinweise vor, um eine Entscheidung: „NS-verfolgt“ oder „nicht NS-verfolgt“ treffen zu können. Teilweise konnte auch geklärt werden, dass sich der Vorbesitzer NS-Repressalien ausgesetzt sah, so dass eine Restitution eingeleitet werden könnte – doch sind Erben bislang unbekannt. Die Recherchen werden kontinuierlich fortgesetzt.
Links und Literatur
Links
Literatur
- Briel, Cornelia: Beschlagnahmt, erpresst, erbeutet. NS-Raubgut, Reichstauschstelle und Preussische Staatsbibliothek zwischen 1933 und 1945. Berlin 2013.
- Dehnel, Regine: NS-Raubgut in Bibliotheken. Suche, Ergebnisse, Perspektiven. Drittes Hannoversches Symposium. Frankfurt am Main 2008 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderbände, 94).
- Hartmann, Uwe: Die Suche nach NS-Raubgut. Zum Stand und zu den Perspektiven der Provenienzforschung. In: Politik und Kultur. Zeitung des Deutschen Kulturrates (5/2014), S. 21.
- Henker, Michael: Raubgut – Kulturverluste. Ein zeitloses internationales Problem. In: Politik und Kultur. Zeitung des Deutschen Kulturrates (5/2014), S. 26-27.
- Tröger, Heike: Verschleppt und gestrandet. Mögliches Raubgut in der Universitätsbibliothek Rostock. In: Bibliothek. Forschung und Praxis, 34 (2010), S. 83-86.